Berhard Klein (62) kommt zufällig vorbei und wir laden ihn ein, am heutigen Kurs teilzunehmen. In Rheinland-Pfalz haben die Sommerferien begonnen und lediglich 3 Teilnehmerinnen sind zu diesem wöchentlich stattfindenden Kursangebot erschienen.
Inspiriert von den Unterrichtsmaterialien aus der Creaviva im Paul Klee Zentrum Bern bieten wir den Teilnehmenden eine Aufgabe an, die Bezug nimmt auf eine Federzeichnung Klees mit dem vielversprechenden Titel: Ein Garten für Orpheus.
Lediglich die 5 jährige Hannah aus dem teilnehmenden Mädchen-Trio greift den Impuls auf, sich in der folgenden Stunde damit zu beschäftigen. Und Berhard Klein.
Es gilt, ein Bündel von Buntstiften auszuwählen und anzuspitzen, um sie anschliessend mit einer Hand zu umgreifen und so über das Zeichenblatt zuführen, dass alle Farbstiftspitzen gleichzeitig das Papier berühren. Hierbei entsteht ein Muster von parallel laufenden Linien , das zur weiteren Bearbeitung einlädt. Sowohl Bernhard als auch Hannah bereiten sich akribisch vor. Hannah nutzt die Gelegenheit, das komplette Sortiment mit 36 Farbstiften nadelspitz zu schärfen, während Bernhard sich viel Gedanken über die Farbauswahl macht.
In der Umsetzung gehen beide getrennte Wege.
Berhard Klein beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Malerei. Er lebt am nordöstlichen Rand des Kreises Altenkirchen, hält den Kontakt zu regionalen Künstlern, die teilweise auch zum Team der Jugendkunstschule gehören. 2017 bringt er eine umfangreiche Auswahl seiner Arbeiten aus über 20 jähriger Auseinandersetzung mit der Malerei ins Atelier und berichtet davon, dass er seit geraumer Zeit von einer Blockade geplagt wird. Er weiß einfach nicht mehr, wie er weitermalen soll. Zwei mal hat er sich bereits zu Kursen aus dem Angebot der Jugendkunstschule angemeldet. Aber erschienen ist er nicht. Jetzt sitzt er hier mit dem Stiftebündel in der Hand und denkt an K.O. Götz, einen der bedeutendsten Vertreter der informellen Malerei, der die längste Zeit seines langen künstlerischen Lebens in seinem Atelierhaus in Niederbreitbach im Westerwald verbracht hat.
Bernhard ist fasziniert von der Maltechnik des Großmeisters, in wenigen Minuten mit besengroßen Pinseln und wuchtigen Schwüngen auf großen Leinwänden Bildentwürfe umzusetzen, die zuvor genausten in kleinen Skizzen durchdacht und komponiert worden sind. Und so platziert Bernhard sein Buntstiftbündel mit der rechten Hand auf dem A2 Papier und zieht es in einer durchgängigen sekundenschnellem Bewegung über das Format. Er unternimmt mehrere Versuche, ändert den Bewegungsablauf und die jeweiligen Richtungen bis er sich zum Ende der Stunde für eine Arbeit entscheidet, die er signiert und mit in seine Mappe aufnehmen möchte.
Hannah schaut zwar immer wieder fasziniert auf das, was der ihr völlig unbekannte, aber sehr freundliche ältere Herr da veranstaltet, aber sie geht mit ihrer Zeichnung ganz anders vor. Sie freut sich über die vielen spitzen Buntstifte und genießt das willkürliche Hin- und Her Reiben über der Zeichenfläche. Immer wieder setzt sie neu an. Hier und da schaut sie genauer auf die entstandenen Muster, letztendlich münden ihre Zeichenbewegungen in der Schraffur einer gelben Fläche. Damit beendet sie das Experiment. Für weitere didaktische Anregungen aus der Materialmappe der Creaviva bleibt keine Zeit.